Allen gerecht werden oder gut für sich sorgen?
Kürzlich erhielt ich die dringende Anfrage einer Kundin für ein Supervisions-Gespräch. Ich betreute sie seit einiger Zeit als Mentorin während ihres Fortbildungskurses. Sie hatte von ihrem ursprünglich angefragten Coach keine Antwort erhalten und war in einer schwierigen, persönlichen Situation, in der sie sich stark unter Druck fühlte. Trotz meines vollen Terminkalenders wollte ich sie bestmöglich unterstützen.
Die einzige Zeit, die für uns beide passte, fiel jedoch genau in einen Zeitblock, den ich mir für einen Weiterbildungskurs reserviert hatte, der mir sehr wichtig war.
Alte Denkmuster verursachen Stress
Mein altes Denkmuster meldete sich sofort und ich dachte, dass ich entweder die Kundin «im Stich» lassen müsse oder meinen Kurs besuche könne, aber nicht beides.
Und schon schlich sich das schlechte Gewissen von hinten an und ich fühlte mich mies.
Ich bemerkte auch, wie der Stresspegel anstieg und das konnte ich grad gar nicht gebrauchen. Beide Varianten fand ich doof. Und das alte Denkmuster hatte einen vordergründig guten Lösungsvorschlag: «Wenn du für die Kundin sowieso zweite Wahl bist, musst du auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn du nein sagst.» Es machte also zuerst das Gegenüber zur Übeltäterin und Schuldigen, um sie dann mit gutem Recht im Regen stehen lassen zu können.
Wie du den Stress reduzieren kannst
Die Lösung des bisherigen Denkens fühlte sich fast gut an. Aber eben nur fast. Das Schuldgefühl löste sich trotzdem nicht auf.
Und dann erinnerte ich mich in dieser Zwickmühle daran, dass es noch einen anderen Ausweg gab. Einen, bei dem alle gewinnen können, es keine Schuldigen gibt und ich meine Prioritäten nicht hintenanstellen müsste.
Ich könnte den emotionalen Stress aus dieser Zwickmühle auflösen, indem ich das alte Denken hinterfrage.
Wie mache ich das konkret – Selbstfürsorge in Aktion
- Das Erste, was ich machte, war, mich zu entspannen. Ich setzte mich hin und atmete einige Male ganz tief und langsam durch, bis ich innerlich ruhiger wurde.
- Dann fragte ich mich, ob ich bereit wäre, «dieses Problem» anders zu sehen. Was, wenn meine beiden Lösungsvarianten nicht die einzigen wären? Und wenn die Situation überhaupt nicht das bedeutete, was ich gerade darüber glaubte?
Bin ich bereit, das anders zu sehen?
- Okay, dann lass Mal sehen. Während ich in diesem alten Denkmuster steckte, versuchte ich meine Gefühle wahrzunehmen. Das war einiges: unter Druck, Schuld, Anspannung, nicht gut genug… Am stärksten waren die Gewissensbisse, die Schuld. Und diese Art von Gefühlen war mir sehr bekannt. Wie in einer Endlosschlaufe kamen sie regelmässig vorbei in meinem Leben. Wenn ich mich so fühlte, war ich überzeugt davon, dass ich es einfach nie auf die Reihe kriegte, nie gut genug war. Und das war eine Denkfalle. Irgendeinmal hatte ich das gelernt, abgespeichert und nie wieder hinterfragt. Aber es war einfach nicht die Wahrheit.
Natürlich hatte die Situation mit dem Terminkonflikt nichts mit meinem Wert zu tun. Es war einfach ein Terminkonflikt. Punkt. Mit mir war immer noch alles in bester Ordnung. Ich musste erleichtert grinsen und konnte aufatmen.
Der Druck war weg, kein Stress, keine Anspannung waren mehr da.
Zwischen dem Moment als ich ein «Problem» wahrgenommen hatte und dem Erinnern an die Wahrheit waren nicht einmal 3 Minuten vergangen. Die Situation mit dem Terminkonflikt war in sich neutral und ich musste meinen Wert nicht davon abhängig machen, wem oder was ich «gerecht werden» konnte, oder eben nicht.
Zuerst einen klaren Kopf kriegen
Jetzt, nachdem ich mich wieder in einem guten inneren Zustand versetzt hatte, war ich frei, eine klare Entscheidung zu treffen.
Und irgendetwas sagte mir, dass es egal sein würde, welchem Termin ich zusagte, es würde sich auf eine gute Art lösen. Ich wusste es einfach, weil es immer so war, sobald ich mich «innerlich sortiert» hatte.
Vertrauen ist keine rationale Angelegenheit; es ist das Gefühl, dass sich alles zum Besten entwickeln wird, ohne dass ich mir darüber Gedanken machen muss. Es ist eine innere Haltung, die trainierbar ist. Offen und zuversichtlich zu sein, dass sich die Umstände auf eine Art und Weise entwickeln, dass alle dabei gewinnen können. Nicht voreingenommen zu sein und recht haben zu wollen, dass das jetzt ein Problem wird. Wer sagt denn das? Es könnte auch alles gut werden.
Und tatsächlich, einige Tage später erhielt ich eine sehr wertschätzende Nachricht meiner Kundin: Sie benötigte den Termin nicht mehr und hatte vom zuerst angefragten Kollegen Antwort erhalten.
Und ich konnte meiner Marketing-Beraterin mitteilen, dass ich nun doch am Kurs teilnehmen würde und das, ohne dass ich mir doof vorkam wegen des Ab- und wieder Zusagens im Vorfeld.
Diese kleine Episode hat mich an ein paar wichtige Erkenntnisse erinnert:
Keine faulen Kompromisse
Ich muss keine faulen Kompromisse eingehen, nur damit es allen anderen gut geht – ausser mir. Wenn ich die Situation dem Universum überlasse und die Wahrheit wähle (statt meiner alten Denkweise), ergibt sich oft eine Lösung, die für alle in Ordnung ist – unabhängig von den äußeren Umständen.
Inneren Frieden an erste Stelle setzen
Der innere Frieden ist die Grundlage, auf der sich äußere Umstände ändern können. Ich habe mich entschieden, im Frieden zu sein und ein Wunder zu akzeptieren, anstatt mich über die Situation oder mich selbst zu ärgern. Ich hätte mich auch entscheiden können, mich wertlos zu fühlen, weil ich als zweite Wahl angefragt wurde. Aber es hatte natürlich überhaupt nichts mit meinem Wert zu tun.
Schuld ist eine Falle
Ich hatte meinen Marketing-Termin bereits abgesagt, aber ich entschied mich, nicht in die Schuldfalle zu tappen. Es war mir wichtig, schnell Bescheid zu geben, um respektvoll mit der Zeit anderer umzugehen. Dann liess ich mich überraschen, wie die Lösung hierfür aussehen würde.
Eine neue Wahl treffen
Wenn ich nicht nach Schuldigen suche, bin ich zusammen mit allen anderen Beteiligten frei. Das öffnet den Weg zu neuen Antworten und Möglichkeiten. Wenn ich darauf beharre, dass etwas nicht hätte passieren dürfen oder anders sein müsste, stecke ich im „Problem“ fest. Ein Problem, das am Ende keines ist, sondern eine Möglichkeit zu lernen und Vertrauen zu üben.
Bewusste Entscheidungen und Vertrauen
Glücklicherweise war ich in diesem Moment bewusst genug, um mich für Unschuld, innere Freiheit und Glücklichsein zu entscheiden. Ich wählte, mich überraschen zu lassen, anstatt darauf zu bestehen, recht zu haben.
Fazit
Wir müssen keine faulen Kompromisse eingehen. Wenn wir uns mit einer Lösung nicht gut fühlen, können wir nachschauen, was die unangenehmen Gefühle auslöst. Es sind alte Überzeugungen, die wir glauben und diese dürfen wir in Frage stellen. Wer bürgt dafür, dass das stimmt? Könnte es nicht sein, dass es eine bessere Möglichkeit gibt?
Und wie würde es sich anfühlen, wenn es nicht wahr wäre, dass immer einer gewinnt und der andere dafür verliert? Wie wäre die Vorstellung, dass du gut für dich selbst sorgen darfst und so gut du kannst für die da bist, die dir am Herzen liegen? Und wenn das schlechte Gewissen aufgelöst ist, hat auch niemand ein Problem damit, dass du nicht immer zur Verfügung stehen kannst.
Selbstfürsorge ist eine Notwendigkeit und eine bewusste Entscheidung, für das eigene Wohlbefinden zu sorgen.
Und schlussendlich erinnere dich daran, dass du nur geben kannst, wenn es dir selbst gut geht und du auf dich achtest und dich wertschätzt. Damit bist du auch ein schönes Beispiel für die Menschen in deiner Umgebung. Du bist wichtig und du bist wertvoll, einfach weil es dich gibt.